Näherer Begriff und Einteilung der Logik : § 79-83 (2)
§ 8o
a) Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen; ein solches beschränktes Abstraktes gilt ihm als für sich bestehend und seiend.
Zusatz. Wenn vom Denken überhaupt oder näher vom Begreifen die Rede ist, so pflegt man häufig dabei bloß die Tätigkeit des Verstandes vor Augen zu haben.
Nun ist zwar allerdings das Denken zunächst verständiges Denken, allein dasselbe bleibt dabei nicht stehen, und der Begriff ist nicht bloße Verstandesbestimmung.
- Die Tätigkeit des Verstandes besteht überhaupt darin, ihrem Inhalt die Form der Allgemeinheit zu erteilen, und zwar ist das durch den Verstand gesetzte Allgemeine ein abstrakt Allgemeines, welches als solches dem Besonderen gegenüber festgehalten, dadurch aber auch zugleich selbst wieder als Besonderes bestimmt wird.
Indem der Verstand sich zu seinen Gegenständen trennend und abstrahierend verhält, so ist derselbe hiermit das Gegenteil von der unmittelbaren Anschauung und Empfindung, die es als solche durchweg mit Konkretem zu tun hat und dabei stehenbleibt.
Auf diesen Gegensatz des Verstandes und der Empfindung beziehen sich jene so oft wiederholten Vorwürfe, welche dem Denken überhaupt gemacht zu werden pflegen und welche darauf hinausgehen, daß das Denken hart und einseitig sei und daß dasselbe in seiner Konsequenz zu verderblichen und zerstörenden Resultaten führe.
Auf solche Vorwürfe, insofern dieselben ihrem Inhalt nach berechtigt sind, ist zunächst zu erwidern, daß dadurch nicht das Denken überhaupt und näher das vernünftige, sondern nur das verständige Denken getroffen wird.
Das Weitere ist dann aber, daß vor allen Dingen auch dem bloß verständigen Denken sein Recht und sein Verdienst zugestanden werden muß, welches überhaupt darin besteht, daß sowohl auf dem theoretischen als auch auf dem praktischen Gebiet es ohne Verstand zu keiner Festigkeit und Bestimmtheit kommt.
Was hierbei zunächst das Erkennen anbetrifft, so beginnt dasselbe damit, die vorhandenen Gegenstände in ihren bestimmten Unterschieden aufzufassen, und es werden so z. B. bei Betrachtung der Natur Stoffe, Kräfte, Gattungen usw. unterschieden und in dieser ihrer Isolierung für sich fixiert.
Das Denken verfährt hierbei als Verstand, und das Prinzip desselben ist die Identität, die einfache Beziehung auf sich. Diese Identität ist es dann auch, durch welche im Erkennen zunächst der Fortgang von der einen Bestimmung zur anderen bedingt wird.
So ist namentlich in cicr Mathematik die Größe die Bestimmung, an welcher mit Hinweglassung aller anderen fortgegangen wird. Man vergleicht demgemäß in der Geometrie Figuren miteinander, indem man das Identische daran hervorhebt.
Auch in anderen Gebieten des Erkennens, so z. B. in der Jurisprudenz, geht man zunächst an der Identität fort.
Indem hier aus der einen Bestimmung auf eine andere Bestimmung geschlossen wird, so ist dies Schließen nichts anderes als ein Fortgang nach dem Prinzip der Identität.
- Wie im Theoretischen, so ist auch im Praktischen der Verstand nicht zu entbehren.
Zum Handeln gehört wesentlich Charakter, und ein Mensch von Charakter ist ein verständiger Mensch, der als solcher bestimmte Zwecke vor Augen hat und diese mit Festigkeit verfolgt.
Wer etwas Großes will, der muß sich, wie Goethe sagt, zu beschränken wissen. Wer dagegen alles will, der will in der Tat nichts und bringt es zu nichts.
Es gibt eine Menge interessanter Dinge in der Welt; spanische Poesie, Chemie, Politik, Musik, das ist alles sehr interessant, und man kann es keinem übel nehmen, der sich dafür interessiert; um aber als ein Individuum in einer bestimmten Lage etwas zustande zu bringen, muß man sich an etwas Bestimmtes halten und seine Kraft nicht nach vielen Seiten hin zersplittern.
Ebenso ist es bei jedem Beruf darum zu tun, daß derselbe mit Verstand verfolgt wird. So hat z. B. der Richter sich an das Gesetz zu halten, demselben gemäß sein Urteil zu fällen und sich nicht durch dieses und jenes abhalten, keine Entschuldigung gelten zu lassen, ohne rechts und links zu blicken.
- Weiter ist nun überhaupt der Verstand ein wesentliches Moment der Bildung.
Ein gebildeter Mensch begnügt sich nicht mit Nebulosem und Unbestimmtem, sondern faßt die Gegenstände in ihrer festen
Bestimmtheit, wohingegen der Ungebildete unsicher hin und her schwankt und es oft viele Mühe kostet, sich mit einem solchen über das, wovon die Rede ist, zu verständigen und ihn dazu zu bringen, den bestimmten Punkt, um den es sich handelt, unverrückt im Auge zu behalten.
Während nun ferner, früherer Erörterung zufolge, das Logische überhaupt nicht bloß in dem Sinn einer subjektiven Tätigkeit, sondern vielmehr als das schlechthin Allgemeine und hiermit zugleich Objektive aufzufassen ist, so findet dies auch auf den Verstand, diese erste Form des Logischen, seine Anwendung.
Der Verstand ist hiernach als demjenigen entsprechend zu betrachten, was man die Güte Gottes nennt, insofern darunter dies verstanden wird, daß die endlichen Dinge sind, daß sie ein Bestehen haben.
So erkennt man z. B. in der Natur die Güte Gottes darin, daß die verschiedenen Klassen und Gattungen, sowohl der Tiere als auch der Pflanzen, mit allem versehen sind, dessen sie bedürfen, um sich zu erhalten und zu gedeihen.
Ebenso verhält es sich dann auch mit dem Menschen, mit den Individuen und mit ganzen Völkern, welche gleichfalls das zu ihrem Bestand und zu ihrer Entwicklung
Erforderliche teils als ein unmittelbar Vorhandenes ( wie z. B. Klima, Beschaffenheit und Produkte des Landes usw. ) vorfinden, teils als Anlage, Talent usw. besitzen.
In solcher Weise aufgefaßt, zeigt sich nun überhaupt der Verstand in allen Gebieten der gegenständlichen Welt, und es gehört wesentlich zur Vollkommen heit eines Gegenstandes, daß in demselben das Prinzip des Verstandes zu seinem Recht kommt.
So ist z. B. der Staat unvollkommen, wenn es in demselben noch nicht zu einer bestimmten Unterscheidung der Stände und Berufe gekommen ist und wenn die dem Begriffe nach verschiedenen politischen und obrigkeitlichen Funktionen noch nicht in derselben Weise zu besonderen Organen
herausgebildet sind, wie dies z. B. in dem entwickelten animalischen Organismus mit den verschiedenen Funktionen der Empfindung, der Bewegung, der Verdauung usw. der Fall ist.
- Aus der bisherigen Erörterung ist nun ferner zu entnehmen, daß auch in solchen Gebieten und Sphären der Betätigung, die nach der gewöhnlichen Vorstellung dem Verstand am fernsten zu liegen scheinen, dieser gleichwohl nicht fehlen darf und daß in dem Maße, als dies der Fall ist, solches als ein Mangel betrachtet werden muß.
Dies gilt namentlich von der Kunst, von der Religion und von der Philosophie. So zeigt sich z. B. in der Kunst der Verstand darin, daß die dem Begriff nach verschiedenen Formen des Schönen auch in diesem ihrem Unterschied festgehalten und zur Darstellung gebracht werden. Dasselbe gilt dann auch von den einzelnen Kunstwerken.
Es gehört demgemäß zur Schönheit und Vollendung einer dramatischen Dichtung, daß die Charaktere der
verschiedenen Personen in ihrer Reinheit und Bestimmtheit durchgeführt, und ebenso, daß die verschiedenen Zwecke und Interessen, um die es sich handelt, klar und entschieden dargelegt werden.
- Was hiernächst das religiöse Gebiet anbetrifft, so besteht z. B. ( abgesehen von der sonstigen Verschiedenheit des Inhalts und der Auffassung ) der Vorzug der griechischen vor der nordischen Mythologie wesentlich auch darin,
daß in der ersteren die einzelnen Göttergestalten zur plastischen Bestimmtheit herausgebildet sind, während dieselben in der letzteren im Nebel trüber Unbestimmtheit durcheinanderfließen.
- Daß endlich auch die Philosophie den Verstand nicht zu entbehren vermag, bedarf nach der bisherigen Erörterung kaum noch einer besonderen Erwähnung.
Hegel : Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
http://texte.phil-splitter.com/html/begriff_und_einteilung_der_logik_.html
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