Näherer Begriff und Einteilung der Logik : § 79-83 (4)
§ 82
γ) Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige faßt die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Ubergehen enthalten ist.
1. Die Dialektik hat ein positives Resultat, weil sie einen bestimmten Inhalt hat oder weil ihr Resultat wahrhaft nicht das leere, abstrakte Nichts,
sondern die Negation von gewissen Bestimmungen ist, welche
im Resultate eben deswegen enthalten sind, weil dies nicht ein unmittelbares Nichts, sondern ein Resultat ist.
2. Dies Vernünftige ist daher, obwohl ein Gedachtes, auch Abstraktes, zugleich ein Konkretes, weil es nicht einfache, formelle Einheit, sondern Einheit unterschiedener Bestimmungen ist.
Mit bloßen Abstraktionen oder formellen Gedanken hat es darum überhaupt die Philosophie ganz und gar nicht zu tun, sondern allein mit konkreten Gedanken.
3. In der spekulativen Logik ist die bloße Verständes-Logik enthalten und kann aus jener sogleich gemacht werden; es bedarf dazu nichts, als daraus das Dialektische und Vernünftige wegzulassen;
so wird sie zu dem, was die gewöhnliche Logik ist, eine Historie von mancherlei zusammengestellten Gedankenbestimmungen, die in ihrer Endlichkeit als etwas Unendliches gelten.
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Zusatz. Seinem Inhalt nach ist das Vernünftige so wenig bloß Eigentum der Philosophie, daß vielmehr gesagt werden muß, dasselbe sei für alle Menschen vorhanden, auf welcher Stufe der Bildung und der geistigen Entwicklung sie sich auch befinden mögen, in welchem Sinn man mit Recht den Menschen von alters her als ein vernünftiges Wesen bezeichnet hat.
Die empirisch allgemeine Weise, vom Vernünftigen zu wissen, ist zunächst die des Vorurteils und der Voraussetzung, und der Charakter des Vernünftigen ist, früherer Erörterung zufolge ( § 45 ), überhaupt der, ein Unbedingtes und somit seine Bestimmtheit in sich selbst Enthaltendes zu sein.
In diesem Sinn weiß vor allen Dingen der Mensch vom Vernünftigen, insofern er von Gott und diesen als
den schlechthin durch sich selbst Bestimmten weiß.
Ebenso ist dann ferner das Wissen eines Bürgers von seinem Vaterland und dessen Gesetzen insofern ein Wissen von Vernünftigem, als ihm diese als ein Unbedingtes und zugleich als ein Allgemeines gelten,
dem er sich mit seinem individuellen Willen zu unterwerfen hat, und in demselben Sinn ist selbst schon das Wissen und Wollen des Kindes vernünftig, indem dasselbe den Willen seiner Eltern weiß und diesen will.
Weiter ist nun das Spekulative überhaupt nichts anderes als das Vernünftige ( und zwar das Positiv-Vernünftige ), insofern dasselbe gedacht wird.
Im gemeinen Leben pflegt der Ausdruck Spekulation in einem sehr vagen und zugleich untergeordneten Sinn gebraucht zu werden, so z. B., wenn von Heirats- oder Handelsspekulationen die Rede ist, worunter dann nur so viel verstanden wird,
einerseits daß über das unmittelbar Vorhandene hinausgegangen werden soll und andererseits daß dasjenige, was den Inhalt solcher Spekulationen bildet, zunächst nur ein Subjektives ist, jedoch nicht ein solches bleiben, sondern realisiert oder in Objektivität übersetzt werden soll.
Es gilt von diesem gemeinen Sprachgebrauch hinsichtlich der Spekulationen dasselbe, was früher von der Idee bemerkt wurde, woran sich dann noch die weitere Bemerkung schließt,
daß vielfältig von solchen, die sich schon zu den Gebildeteren rechnen, von der Spekulation auch ausdrücklich in der Bedeutung eines bloß Subjektiven gesprochen wird, in der Art nämlich,
daß es heißt, eine gewisse Auffassung natürlicher oder geistiger Zustände und Verhältnisse möge zwar, bloß spekulativ genommen, sehr schön und richtig sein, allein die Erfahrung stimme damit nicht überein, und in der Wirklichkeit könne dergleichen nicht zugelassen werden.
Dagegen ist dann zu sagen, daß das Spekulative seiner wahren Bedeutung nach weder vorläufig noch auch definitiv ein bloß Subjektives ist, sondern vielmehr ausdrücklich dasjenige,
welches jene Gegensätze, bei denen der Verstand stehenbleibt ( somit auch den des Subjektiven und. Objektiven ), als aufgehoben in sich enthält und eben damit sich als konkret und als Totalität erweist.
Ein spekulativer Inhalt kann deshalb auch nicht in einem einseitigen Satz ausgesprochen werden.
Sagen wir z. B., das Absolute sei die Einheit des Subjektiven und des Objektiven, so ist dies zwar richtig, jedoch insofern einseitig, als hier nur die Einheit ausgesprochen und auf diese der Akzent gelegt wird, während doch in der Tat das Subjektive und das Objektive nicht nur identisch, sondern auch unterschieden sind.
Hinsichtlich der Bedeutung des Spekulativen ist hier noch zu erwähnen, daß man darunter dasselbe zu verstehen hat, was früher, zumal in Beziehung auf das religiöse Bewußtsein und dessen Inhalt, als das Mystische bezeichnet zu werden pflegte.
Wenn heutzutage vom Mystischen die Rede ist, so gilt dies in der Regel als gleichbedeutend mit dem Geheimnisvollen und Unbegreiflichen, und dies Geheimnisvolle und Unbegreifliche wird dann,
je nach Verschiedenheit der sonstigen Bildung und Sinnesweise, von den einen als das Eigentliche und Wahrhafte, von den anderen aber als das dem Aberglauben und der Täuschung Angehörige betrachtet.
Hierüber ist zunächst zu bemerken, daß das Mystische allerdings ein Geheimnisvolles ist, jedoch nur für den Verstand, und zwar einfach um deswillen, weil die abstrakte Identität das Prinzip des Verstandes,
das Mystische aber ( als gleichbedeutend mit dem Spekulativen ) die konkrete Einheit
derjenigen Bestimmungen ist, welche dem Verstand nur in ihrer Trennung und Entgegensetzung für wahr gelten.
Wenn dann diejenigen, welche das Mystische als das Wahrhafte anerkennen, es gleichfalls dabei bewenden lassen, daß dasselbe ein schlechthin Geheimnisvolles sei, so wird damit ihrerseits nur ausgesprochen,
daß das Denken für sie gleichfalls nur die Bedeutung des abstrakten Identischsetzens hat und daß man um deswillen, um zur Wahrheit zu gelangen, auf das Denken verzichten oder, wie auch gesagt zu werden pflegt, daß man die Vernunft gefangennehmen müsse.
Nun aber ist, wie wir gesehen haben, das abstrakt verständige Denken so wenig ein Festes und Letztes, daß dasselbe sich vielmehr als das beständige Aufheben seiner selbst und als das Umschlagen in sein Entgegengesetztes erweist, wohingegen das Vernünftige als solches gerade darin besteht, die Entgegengesetzten als ideelle Momente in sich zu enthalten.
Alles Vernünftige ist somit zugleich als mystisch zu bezeichnen, womit jedoch nur so viel gesagt ist, daß dasselbe über den Verstand hinausgeht, und keineswegs, daß dasselbe überhaupt als dem Denken unzugänglich und unbegreiflich zu betrachten sei.
Hegel : Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
http://texte.phil-splitter.com/html/begriff_und_einteilung_der_logik_.html
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